Nachruf auf Klaus Wulsten
* 4.2.1925 | † 6.4.2018
Im hohen Alter von 93 Jahren verstarb der frühere 1. Vorsitzende der „Stiftung für Reform der Geld- und Bodenordnung“ Klaus Wulsten in einer Senioreneinrichtung in Berlin-Lichterfelde. Dorthin war er vor zwei Jahren gezogen, weil seine Kräfte und die seiner Lebensgefährtin Christa Manteufel-Links nicht mehr ausreichten, um die Anforderungen des Alltags eigenständig zu bewältigen. Mit Klaus Wulsten verband uns eine enge Freundschaft, deren Anfänge bis in die 1980er Jahre zurückreichen.
Sein Weg durch die Höhen und Tiefen des Lebens im 20. Jahrhundert war nicht einfach gewesen, obwohl seine Mutter als Erzieherin und sein Vater als Studienrat für die Fächer Deutsch, Geschichte, Englisch und Sport an einer Oberrealschule ihm und seinen beiden Geschwistern trotz der widrigen Zeitumstände eine gute Kindheit ermöglichen konnten. Nach einer vom Zweiten Weltkrieg geprägten Schulzeit bestand Klaus Wulsten im Sommer 1943 die Abiturprüfung. Es folgten einige Monate Arbeitsdienst und ein Dienst in der Marine. Gegen Ende des Krieges war er Infanterist in Böhmen und kam dann in kurze amerikanische Kriegsgefangenschaft.
Bereits im Elternhaus für die komplexe Problematik von Recht und Staat sensibilisiert, nahm Klaus Wulsten 1946 ein Studium der Rechts- und Staatswissenschaften an der Humboldt-Universität Berlin auf, die zunehmend unter den Einfluss der sowjetischen Besatzungsmacht geriet. Neben seinen juristischen Studien machte er sich mit den Grundzügen von Volkswirtschaftslehre, Soziologie und Philosophie vertraut. Ein besonderer Leitstern wurden für ihn die Werke des Philosophen Nikolai Hartmann, der als ein Vertreter des kritischen Realismus eine „Metaphysik der Erkenntnis“, eine „materiale Wertethik“ und eine „Grundlegung der Ontologie“ verfasst hatte.
Seine Referendarzeit absolvierte Klaus Wulsten am Kammergericht Berlin (West). In dieser Zeit lernte er den Juristen Heinz-Peter Neumann kennen, der sein besonderes Interesse an der Bodenordnung und ihrer Reform weckte. Über Neumann kam Wulsten auch in Kontakt mit Karl Walker, der die Ziele einer Gesellschen Bodenrechts- und Geldreform sehr viel anspruchsvoller vertrat als so manche Anhänger in ihrem missionarischen Eifer. Nach dem Assessorexamen gründeten Heinz-Peter Neumann und Klaus Wulsten 1954 eine „Liberalsoziale Hochschulgruppe“ an der Freien Universität Berlin, um die sozialreformerischen Denkansätze von Gesell und Walker in der Universität ins Gespräch zu bringen. Im selben Jahr ließ sich Klaus Wulsten als Rechtsanwalt in Berlin-Steglitz nieder und baute seine Kanzlei über Armenrechtssachen und Pflichtverteidigungen hinaus auf. 1957 gründete er eine eigene Familie. 1965 wurde er auch Notar.
Da die „Liberalsoziale Hochschulgruppe“ nach und nach von Anhängern des Marxismus dominiert wurde, zogen sich Neumann, der inzwischen leitende Funktionen in der Landesversicherungsanstalt Berlin innehatte, und Wulsten aus ihr zurück. In ihrer Freizeit arbeiteten sie im „Seminar für freiheitliche Ordnung“ (Herrsching, später Bad Boll) mit und gründeten als Berliner Ableger des Seminars einen „Berliner Arbeitskreis“, der sich viele Jahre lang in den 'Katakomben' von Neumanns Haus am Rande des Grunewalds traf und auch andere Gesprächsorte in Berlin nutzte. Im Dialog mit Wissenschaftlern und Studierenden einschließlich der 1968er Generation ging es in diesen Gesprächsrunden immer wieder auch um die Frage, welche juristischen, politischen und philosophischen Denkweisen sich mit einer Geld- und Bodenrechtsreform vertragen und wie diese fortzuentwickeln sei. Klaus Wulsten legte stets großen Wert auf lernende Auseinandersetzungen mit anderen Denkrichtungen und auf das Zusammenwirken mit verwandten Bestrebungen.
1987 wirkte Klaus Wulsten als juristischer Berater bei der Formulierung des Vertrags zwischen der „Stiftung für persönliche Freiheit und soziale Sicherheit“ (seit 1997: „Stiftung für Reform der Geld- und Bodenordnung“), Gesells Nachkommen und dem Gauke Verlag mit, der Grundlage für die Herausgabe der „Gesammelten Werke“ von Silvio Gesell werden sollte. Zwei Jahre später wurde er nach dem Tod von Heinz-Peter Neumann in den Vorstand der Stiftung gewählt und übernahm 1990 auch den 1. Vorsitz, den er bis 2000 innehatte. Während dieses Jahrzehnts war Klaus Wulsten ein äußerst gewissenhafter und verlässlicher 'Schirmherr' über die verschiedenen Tätigkeiten der Stiftung.
Auch die von der „Sozialwissenschaftlichen Gesellschaft“ in Zusammenarbeit mit der Stiftung veranstaltete Tagungsreihe „Mündener Gespräche“ hat Klaus Wulsten seit 1986 mit bewundernswerter Regelmäßigkeit als vielseitig gebildeter Diskussionsteilnehmer und als gelegentlicher Referent über Fragen des Bodenrechts und der Staatstheorie mitgestaltet. Immer wieder machten sein breites Wissen und die ökonomisch-juristisch-philosophische Gesamtschau einen großen Eindruck auf die Teilnehmer/innen. Dies ist umso respektabler, als er seine ehrenamtlichen Tätigkeiten – u.a. auch im „Bund für Umwelt und Naturschutz“ (BUND) – neben seiner weit über das 65. Lebensjahr hinaus fortgeführten Berufstätigkeit entfaltete. Leider verhinderte die berufliche Belastung eine systematische Ausformulierung seiner Gedanken zum Bodenrecht, zum Rechtsstaat und vor allem zur Fortentwicklung der theoretischen Grundlagen einer Geldreform in Form von Aufsätzen oder Buchbesprechungen. So unterblieb nicht zuletzt auch eine in Gesprächen immer wieder angeregte gedankliche Zusammenführung der Geld- und Bodenreform mit der Eigentumstheorie von Gunnar Heinsohn & Otto Steiger oder mit den Studien von Hans Immler über die Notwendigkeit, die Gedankenwelt der französischen Physiokraten im ökologischen Kontext zu rezipieren und weiterzuentwickeln.
Auch nach seinem Ausscheiden aus dem Vorstand der „Stiftung für Reform der Geld- und Bodenordnung“ blieb uns Klaus Wulsten als anregender Gesprächspartner erhalten. Im Anschluss an eine Studie des Berliner Wirtschaftshistorikers Carl-Ludwig Holtfrerich über die schicksalsschweren Brüningschen Notverordnungen der frühen 1930er Jahre befürchtete Klaus Wulsten, dass auch die heutige Wirtschafts- und Sozialpolitik im Hinblick auf die anhaltend hohe, statistisch geschönte Massenarbeitslosigkeit und die Ausbreitung eines Niedriglohnsektors nicht genug aus den – Holtfrerich zufolge – vermeidbaren Fehlern der Brüningschen Notverordnungen gelernt hat. Stets bereitete es ihm auch große Sorgen, dass das Projekt der Einigung Europas und die Schaffung einer europäischen Einheitswährung auf unzureichenden ökonomischen Fundamenten begonnen wurde, so dass beides dem europäischen Kontinent und der Welt mehr Instabilität als gerechten Frieden bringen könnte.
Besuche bei Klaus Wulsten und seiner Lebensgefährtin Christa Manteufel-Links begannen bis zum vergangenen Winter meist ohne Umschweife mit der Frage: „Hast Du dieses neue Buch schon gelesen?“ Während sich auf vielen Schreibtischen ungelesene Bücher türmen, war sein Arbeitszimmer übersät mit gelesenen Büchern voller Randnotizen und eingelegter Notizzettel. Es war beeindruckend, Klaus Wulsten fast bis zuletzt als einen geistig regen Freund zu erleben, der weit über sein persönliches Wohlergehen hinaus um die Zukunft von Mensch und Erde besorgt war. Wir sind ihm sehr dankbar für unsere langjährige Weggefährtenschaft und werden ihn in guter Erinnerung behalten.
Prof. Dr. Dirk Löhr, 1. Vorsitzender der Sozialwissenschaftlichen Gesellschaft
Fritz Andres, 1. Vorsitzender der Stiftung für Reform der Geld- und Bodenordnung
Werner Onken, Redaktion der Zeitschrift für Sozialökonomie